Drangurs Blutaxt

Vorwort:
Die folgende Geschichte entspringt ganz und gar meiner eigenen Fantasie. Ähnlichkeiten zu lebenden oder toten Personen sind zufällig, ungewollt oder meinem Unterbewusstsein zuzuschreiben. Die Geschichte wird nach eigenem Gutdünken weitergeführt oder auch nicht. Ich bin kein professioneller Schriftsteller, doch hoffe ich dem ein oder anderen ein wenig Kurzweil und Freude zu bereiten.

Kap. 01: Der Geschmack des Blutes
Im Kampf, so heißt es, werden Männer zu Brüdern. Dies ist die Geschichte der Brüder Drangur und Dofri. Dies ist meine Geschichte und anfangen will ich in Norvik im Frühjahr 880.

Ich schmeckte das Blut auf meiner Zunge. So fest hatte er lange nicht zugeschlagen. Mein Vater, der Schmied unseres kleinen Dorfes, war ein tyrannischer Mann. Hoffnungslos dem Suff verfallen. Oft randalierte er wenn er abends aus der Spelunke nachhause kam und seit meine Mutter im letzten Winter gestorben war, war es noch schlimmer geworden. Auch heute hatte er mir wieder „die Faulheit aus dem Leib geschlagen“, wie er es nannte. So oft hatte ich die Götter um Hilfe angerufen. So oft hatte ich mir gewünscht Thor möge ihn mit seinem Hammer erschlagen, doch kein Gott hatte mein Rufen gehört.

Ich hockte an der Feuerstelle unseres kleinen Hauses und rieb meine Wunden wie fast jeden Abend. Dofri brachte mir einen Krug Wasser. Auch er kannte die Schläge. Als mein Vater ihn vor Jahren als jungen Sklaven vom Markt mitgebracht hatte, hoffte ich noch nun würde er die Schläge bekommen die sonst ich empfangen musste. Doch Dofri war nur ein zusätzliches Ziel der Schläge und Beschimpfungen. Mit der Zeit wurde aus meinem Leidensgenossen ein Verbündeter und bald war er für mich wie ein Bruder. Mein Vater duldete meine Freundschaft zu einem einfachen Sklaven nicht, sondern nahm sie als Vorwand uns nur noch öfter und härter zu schlagen. „Weine nicht Drangur. Das will er doch“, sagte Dofri. „Ich weine nicht. Der Rauch brennt in meinen Augen.“ log ich. Mir kam es vor als würden wir diesen Dialog fast jeden Tag führen und so war es auch.
Ich hasste meinen Vater für sein Tun und je mehr der Hass in mir stieg, desto schneller lernte ich auf eigenen Beinen zu stehen und mich ihm entgegen zu stellen. Und je mehr ich mich wehrte, desto härter schlug er zu. „Ich werd dieses versoffene Schwein erschlagen“, murmelte ich, „Wenn die Götter es nicht tun, dann muss ich es eben selbst machen.“ Dofri drückte mir ein in kaltes Wasser getränktes Tuch auf mein geschwollenes Auge. „Sag so was nicht. Auf Vatermord steht der Tod“. Dessen war ich mir bewusst. Als kleines Kind hatte mein Vater mich gezwungen bei einem Blutadler an einem Vatermörder zuzusehen. Man hatte ihn auf den Bauch gelegt und ihm den Rücken aufgeschnitten. Dann hatte man seine Rippen gebrochen und wie Flügel nach außen geklappt. Der Vollstrecker hatte es „einen Adler schnitzen“ genannt. Die Schreie des Mannes hatte ich nie vergessen. Genau so wenig wie das Lachen meines Vaters als er dem Sterbenden aus tiefster Kehle in den geöffneten Rücken spuckte. Ich versuchte all das was ich in meinen wenigen Jahren hatte erleben müssen zu vergessen. Noch zwei Jahre, dann würde ich vor unserm Volke als erwachsener Mann gelten. Dann würde ich gehen und das alles hinter mir lassen. Dofri würde ich mitnehmen. Würde ich ihn zurück lassen wäre es nur eine Frage der Zeit bis der Tyrann ihn erschlagen hätte. Nach unseren Gesetzen war es sein Recht einen Unfreien zu züchtigen wenn dieser nicht spurte und ihn wenn es nicht anders ging sogar zu töten.

Eines Abends kam mein Vater wieder lauthals schreiend nachhause. Ich hatte den ganzen Tag Feuerholz gehackt und stapelte es nun in einem kleinen Schuppen neben unserem Haus. Da hörte ich auch schon Dofris laute Schreie. Ich nahm die Axt aus der Ecke und ging ins Haus. Am Bodengekrümmt lag Dofri und weinte. Mein Vater stand über ihm mit einem Knüppel in der Hand an dem immer noch Blut und Haare klebten. In letzter Zeit hatte es dem Schläger besonders viel Freude bereitet sich feige von hinten anzuschleichen und mit dem Stock, auf den er sich im Suff stützte, auf den erst besten der ihm über den Weg lief einzuschlagen. Ich spürte wieder wie der Hass in mir aufstieg und drohte mich innerlich aufzufressen. Er drehte sich zu mir um. Ich konnte in seinen Augen all die Aggression und den Suff dem er sich den ganzen Tag hingegeben haben musste erkennen. Wir schrieen uns an. Ich ließ all den Zorn der sich über die Jahre angesammelt hatte auf einen Schlag aus mir herausbrechen. „Du bist nicht mehr mein Sohn“ schrie er mir feucht aus vollem Halse entgegen. „Und du bist nicht mehr mein Vater“ schrie ich zurück. Dann verlor ich alle Kontrolle über mich, hob ich die Axt und schlug sie ihm mit voller Kraft zwischen Hals und linkes Schulterblatt. Sein Blut spritzte mir ins Gesicht. Ich konnte es kupfern auf meinen Lippen schmecken. Es war der alt vertraute Geschmack, doch diesmal schmeckte es gut. Diesmal war es nicht mein Blut. In meiner Raserei war ich glücklich. Ich fühlte mich mächtig, erleichtert und von allem Bösen in meinem Leben befreit. Langsam sank mein Vater zu Boden, die Axt immer noch in seinem Leib. Dofri schrie laut auf. Teilweise vor Erschütterung über meine Tat, teilweise vor Erleichterung dass all der Pein die wir Tag für Tag ertragen mussten nun ein Ende gesetzt war. Ich sah zu meinem Vater herab. Er wusste dass es zu Ende ging. Er streckte die Hand in Richtung des Hakens in der Wand aus, an dem sein Schwert hing. Er wollte mit dem Schwert in der Hand in die Hallen Walhalls einkehren, wo die tapferen Männer ewig leben. Doch das gönnte ich ihm nicht. Er war kein tapferer Mann. Er war Abschaum. Er hatte mein Leben zur ewigen Qual gemacht und nun sollte er ewige Qual im Totenreich erleiden. Mit einem Ruck zog ich die Axt heraus. Noch mehr Blut spritzte aus der langen, tiefen Wunde. Mit letzter Kraft brachte er nur noch ein Wort heraus. „Warum?“ Dann sank er nieder, seine Augen wurden blass und er war tot.

Allein für seine Frage nach dem Warum hätte ich ihn am liebsten noch einmal erschlagen, aber es war vorbei. Dofri kauerte geschockt in einer Ecke und war nicht fähig nur ein Wort zu sagen. Auch ich wurde mir langsam der Schwere meiner Tat bewusst. Ich empfand kein Mitleid mit dem noch leicht zuckenden Kadaver der mal mein Vater gewesen war. Ich verspürte nur Angst um mein eigenes Leben. Wenn man seine Leiche finden würde wäre das Urteil schnell gefällt. Alle im Dorf wussten was Tag für Tag in unserem Hause vor sich ging. Dennoch würde man mich oder den immer noch zitternden Dofri des Mordes schuldig sprechen. Ich hatte meinem Vater zu gehorchen und zu ehren. Egal was geschah. Und nun, mit diesem Verbrechen war mein Schicksal besiegelt. „Vielleicht können wir es aussehen lassen als hätte er mit uns übereilt das Dorf verlassen. Er hat Schulden gemacht. Vielleicht wird man denken er seihe deshalb geflohen“, überlegte ich. Ich packte schnell das Nötigste für die Flucht zusammen und sattelte den schwarzen Wallach meines Vaters. Auch das Schwert und die immer noch blutige Axt nahm ich mit. Den Gefahren der Fremde sollte man nicht unbewaffnet gegenüber stehen. Als ich zurück ins Haus kam hatte Dofri die Leiche in eine alte Decke eingewickelt und die Spuren des Gemetzels aufgewischt. Wir schleppten die Leiche in den Stall und luden sie auf das Pferd. Ich stieg auf und half Dofri hinter mir Platz zu nehmen. „Wo sollen wir nun hin?“ fragte er. „Nach Island“, sagte ich schnell, ohne selbst zu wissen wo dieser Ort sein sollte. Ich hatte einmal einen Mann sagen hören dass diese Insel, geboren aus Feuer und Eis, mit ihren dichte Wälder und grüne Wiesen jedem fleißigen Mann ein Leben im Überfluss bieten würde. Odin selbst hätte diesen Ort erschaffen. Mein Vater hatte dies als dummes Gerede abgetan doch für mich war das nun die einzige Hoffnung und so ritten wir hinaus in die dunkle Nacht.

Westlich an unser Dorf grenzte ein Wald von dem schon die Ältesten viel Schauriges zu erzählen gehabt hatten. Nun mussten wir dort hindurch. Die Tannen standen dicht. Nur ein schmaler Weg ließ uns voraneilen. Eine kleine Fackel die Dofri hochhielt war das einzige Licht. Oft schlugen uns Äste ins Gesicht, wie die Hände von Waldgeistern die uns zurückhalten oder ins Totenreich ziehen wollten. Ich spürte dass das Pferd unruhig wurde. Wir näherten uns einer kleinen Lichtung. Weit und breit der einzige Platz der vom Mondlicht erhellt wurde. Da plötzlich sah ich ein Rudel Wölfe, ungefähr 10 an der Zahl. Sie hatten uns umzingelt. Knurrend und Zähne fletschend kamen sie langsam auf uns zu. Das Pferd tappte unruhig auf der Stelle. Plötzlich bäumte es sich vorn auf. Dofri umklammerte mich fest, doch die Leiche meines Vaters die ich hinter ihm an den Sattel gebunden hatte löste sich und fiel zu Boden. Dann stürmte das Pferd los. Ich konnte es nicht bremsen. Hinter uns sah ich noch wie sich das ganze Wolfsrudel auf das zu Boden gefallene, vor Blut triefende Bündel stürzte und damit jedes Interesse an uns verlor. Erst am Waldrand gelang es mir das Pferd zu bremsen. Langsamen Schrittes ritten wir weiter und erst als die Sonne langsam über die Hügel vor uns stieg merkten wir wie weit wir von der alten Heimat entfernt waren. Weiter Richtung Westen sollte es gehen, so lange bis wir das Meer sehen würden.

Kap. 02: Stahl auf Stahl
Lange waren wir unterwegs gewesen. Manchmal kamen wir durch kleine Dörfer in denen wir arbeiten konnten. Für etwas zu essen und eine Unterkunft für die Nacht halfen beim Häuserbau, Fischfang oder gingen dem Schmied zur Hand. Den Winter über blieben wir an einem Ort und sobald das Wetter besser wurde zogen wir weiter. So vergingen viele Monde. Manchmal dachte ich wir würden wohl niemals das Meer erreichen, sondern den Rest unseres noch jungen Lebens umherstreifen. Doch dann…

Die letzte Nacht hatten wir in einer kleinen Höhle im Wald verbracht. Als morgens langsam die Sonne aufging, brachen wir wieder auf. Wald und Wiesen waren noch Nebel verhangen. Ich war noch müde. Ich fühlte mich als wäre des Nachts die Feuchtigkeit in jeden Knochen meines Körpers gekrochen und mein Rücken schmerzte. Dofri ging es nicht besser, doch er schwieg und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Für sein Alter war er hart im Nehmen, Manchmal glaubte ich er hätte wirklich das Leben eines Rumtreibers im Blut. Durch meine halb zugekniffenen Augen sah ich vor uns kleine Lichter im Nebel. Es waren die Lichter eines Fischerdorfes, direkt an einem langen, breiten Fluss. An Land hatte ein langes Schiff festgemacht, das mir durch den Nebel wie ein schreckliches Ungeheuer vorkam. Den Vordersteven des Schiffes verzierte ein geschnitzter Drachenkopf der mir erschien, als könne er mich jeden Moment angreifen und verschlingen. Dann sah ich einen Mann an Deck stehen. Sein Blick war starr auf den Verlauf des Flusses gerichtet. Bewegungslos wirkte er auf mich wie ein Toter. Nur sein sich auf und ab bewegender Brustkorb zeigte mir dass das Leben seinen Körper noch nicht verlassen hatte. Ich stieg vom Pferd ab und schnallte mir das Schwert um. Dofri sagte ich er solle auf ein Zeichen von mir warten und dann erst folgen.

Vorsichtig und auf alles gefasst näherte ich mich dem Schiff. Erst jetzt sah ich die anderen Männer die Fässer von Bord rollten und große Truhen auf ihren Schultern an Land trugen. Sie sahen mich nur an, nickten mir zu und beachteten mich nicht weiter. Ich gab Dofri einen kurzen und unauffälligen Wink worauf auch er abstieg und zu mir kam. Neugierig aber weiterhin vorsichtig betraten wir das Schiff. Wie selbstverständlich gab einer der Männer jedem von uns eine Kiste und wie ebenso selbstverständlich halfen wir beim abladen. Als wir fertig waren setzten sich alle zusammen um ein kleines Feuer am Rand des Dorfes und unterhielten sich. Frauen des Dorfes brachten Fässer mit Bier, ein Ochse wurde geschlachtet und gleich auf dem Feuer zubereitet. Wir setzten uns hinzu, sagten aber nichts. Man reichte uns Becher mit Bier, wir bedankten uns, sagten aber ansonsten weiterhin nichts. Die Männer unterhielten sich weiter über die Reise von der sie zurückgekommen waren und über die gute Beute die sie gemacht hatten. Fasziniert hörte ich zu, bis einer der Männer mich ansprach. „Wo kommt ihr her und was verschlägt euch in diese Gegend?“ Sein Name war Heimir. Er schien nur wenig älter als ich zu sein. Er war in einfache Leinen gekleidet und trug ein Schafsfell über die Schultern. Auf seiner Brust prangte ein großer Thorshammer aus Bronze und sein Gesicht zierte eine lange Narbe vom rechten Auge fast bis ans Kinn. Doch viel auffallender fand ich das lange Schwert an seiner Seite. Man konnte deutlich den Rost an Knauf und Parierstange erkennen und ich überlegte welch große Schlachten vielleicht schon mit dieser Waffe geschlagen worden waren. Diesen groß gewachsenen und sicher kampferprobten Mann wünschte ich mir nicht zum Feind. So stellte ich uns vor und erzählte kurz von unserer Reise. Den Grund dafür verschwieg ich.

Nun stellte Heimir auch die anderen Männer kurz vor. 19 an der Zahl. Ich hatte ihre Namen schneller wieder vergessen, als ich sie gehört hatte. Das Gelage ging weiter und je weniger wir von dem großen Ochsen übrig ließen und je mehr Bier getrunken wurde, desto wilder wurden die Geschichten. Hin und wieder gab es kleinere Raufereien, aus denen ich mich raus hielt und die auch eher freundschaftlicher Natur zu sein schienen. Am Ende jeder Auseinandersetzung wurde erneut mit Bier angestoßen und der Grund des Streits so hinweggespült. Heimir erzählte mir dass sie ein paar Tage im Dorf bleiben und dann ihren Weg über das Meer nach Island fortsetzen würden. Bei dem Wort Island zuckte ich kurz auf, versuchte dies aber sogleich zu verbergen. Er erzählte weiter dass sie sich dort mit weiteren Schiffen verbünden und dann wieder aufbrechen würden. Auf meine Frage nach Grund und Ziel der Reise antwortete er nur: „ Ruhm, und Ehre sind der Grund und reichlich Beute das Ziel.“ Dabei lachte er laut auf und die anderen Männer taten es ihm gleich. Er schlug mir auf die Schulter und rief laut auf: „Greift zu Schwert und Schild meine Freunde und kommt mit uns. Wenn ihr wieder zuhause seid, wird jeder eure Namen mit Ehrerbietung aussprechen.“  Er prostete uns zu und stürzte gleich noch mehr Bier in seinen Schlund als wolle er damit die Kehle für noch größere Worte ölen. Im ersten Moment fühlte ich mich verspottet. Ich war ein Kind und es würde noch einige Monde dauern bis ich ein echter Mann war. Dann überlegte ich doch. Zu gern wäre ich auf das Angebot eingegangen, doch ich musste auch an Dofri denken. „Seht uns an. Sehen wir wie Krieger aus?“, antwortete ich ihm. "Ihr tragt ein Schwert." reagierte er. "Ein Erbstück meines Vaters" sagte ich und glaubte es wirklich. Auch wenn er es mir nicht freiwillig vererbt hat. Ein leichtes Schmunzeln wollte sich auf meinem Gesicht abzeichnen, doch ich wehrte es ab. „Dann werden wir die nächsten Tage nutzen um aus euch Krieger zu machen.“, lachte Heimir. Ich hatte so wenig wie Dofri daran gedacht einmal ein großer Krieger zu sein. Doch wir wollten nach Island. Dort könnte man ja immer noch weiter sehen und so willigte ich ein. Wir begossen das Abkommen noch reichlich bis tief in die Nacht.

Als ich am nächsten Morgen am Lagerfeuer, mit Fellen zugedeckt aufwachte, erinnerte ich mich weder daran wann ich mich zur Ruhe gelegt hatte, noch an die junge Frau die ich an mich gedrückt neben mir vorfand. Dabei wäre wohl gerade sie eine lohnenswerte Erinnerung gewesen. Mir gegenüber saß Dofri am Feuer und lächelte mich frech an. Er war wohl schon eine ganze Weile wach gewesen. Ich stand auf und zog mich an. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden wer mich denn wohl überhaupt ausgezogen hatte. Ich sah wieder zu der Fremden herüber die sich noch tief schlafend umdrehte. Manches sollte man wohl einfach hinnehmend genießen und nicht weiter nachdenken. Ich ging zum Fluss, kniete mich nieder und steckte meinen Kopf unter Wasser. Das machte mich etwas wacher. Doch wirklich wach wurde ich als mir jemand mit der Schwertklinge auf die Schulter tippte. Es war Heimir. „Auf, auf. Viel Arbeit wartet auf uns und der Tag ist kurz.“ Ich bat ihn gnädig mit mir zu sein. Mein Kopf schmerzte und der Rest meines Körpers fühlte sich an als wäre es nicht der meine. Doch Heimir wollte keine Gnade kennen. „Wenn ihr euch heute Abend bettet, werdet ihr Krieger sein.“ Wir folgten Heimir bis zur Schmiede. Der Schmied war ein nur wenig älterer Mann mit Oberarmen dick wie Baumstämme. Wir tauschten mein Pferd gegen ein altes Schwert für Dofri ein. Ein Gutes Geschäft wie Heimir mir versicherte. Dennoch viel es mir schwer. Dieses Pferd hatte uns so weit gebracht, war immer treu und nun tauschte ich es ein gegen ein Stück rostiges Metal voller Scharten, dessen einziger Sinn im Töten bestand. Heimir sah mich an: „Zögere nicht. Wo wir hingehen brauchst du kein Pferd und wenn wir zurück sind kannst du hunderte haben.“  Er hatte Recht. Auch Dofri war mir selbst in größter Not immer treu gewesen und nun brauchte er eine zuverlässige Waffe.

Heimir ging mit uns zum Strand. „Habt ihr schon einmal geblutet?“, fragte er. Wir nickten und dachten wohl beide an die vielen Schläge aus vergangenen Zeiten. „Habt ihr schon einmal getötet?“ Diesmal nickte nur ich und dachte an den Mann der mein Vater gewesen war. Heimir sah uns tief in die Augen und sprach: „Bluten kann jeder. Ich zeige euch wie man kämpft, tötet und so am leben bleibt.“ Der Nachmittag bestand für uns nun aus Schlägen und Paraden. Mal mit, mal ohne Schild. Mal gegen Heimir, mal gegeneinander. Zuerst langsam und leicht, dann schnell mit harten Schlägen. Wir lernten schnell. Wir beide fürchteten uns davor von Heimir in Stücke geschlagen zu werden und beide waren wir dankbar als die Sonne langsam unterging und es zu dunkel wurde um weiter zu kämpfen. „Ihr habt gut gelernt.“, sagte er. „Der nächste Kampf wird über euer Leben oder euren Tod bestimmen. Lass uns auf ersteres Hoffen.“ Wir gingen zurück zum Dorf. Dort saßen die anderen wie am Abend zuvor am Feuer. Heimir stellte sich zu ihnen. „Wir werden nun eure Schwerter weihen. Auf das sie euch ewig treu dienen möge. Tretet vor, haltet die Klinge in die Flammen.“ Wir taten wie uns geheißen wurde. „Wir rufen Tyr zur Weihe. Tyr, Gott des Krieges. Wir bitten dich um deinen Segen für diese Waffen. Mögen sie ihrem Träger stets treu sein und ihm helfen, den Sieg zu erringen. Drangur, gebe nun eurem Schwert einen würdigen Namen.“ Ich nahm die Klinge aus dem Feuer und sprach: „Dieses Schwert soll von nun an Nístingur, bitterkalter Wind, heißen.“ Ich dachte an den Wind kalter Winter. Wie er sich im Gesicht anfühlte als würde er tiefe Furchen ins nackte Fleisch reißen. „Dofri, gebe nun eurem Schwert einen würdigen Namen.“ Auch Dofri nahm die Klinge aus dem Feuer und sprach: „Dieses Schwert soll von nun an Hylda heißen.“ Hylda, was so viel bedeutet wie Fleisch von Knochen abschneiden, war ein Name bei dem ich daran denken musste wie gierig sich Dofri in den schlechten Zeiten noch auf die Knochen stürzte die sein Herr, mein Vater, nach dem Essen achtlos zu Boden fallen gelassen hatte. Doch das war lange her und er hatte diesen Namen wohl aus anderen Gründen gewählt. Nun schenkten die Frauen den Männern Bier ein. Wir hoben die Hörner und Becher und tranken auf die Asen und die bevorstehende Schlacht. Erst jetzt wurde mir richtig klar auf was ich mich eingelassen hatte. Ich würde in andere Länder vordringen und meine Heimat vielleicht nie wieder sehen. Doch an welche Heimat dachte ich? Ich hatte keine wirkliche Heimat mehr. Nirgendwo hatte ich mich je so zuhause gefühlt wie hier unter den Menschen die für mich eigentlich fremde waren. Die Nornen haben unseren Schicksalsfaden gesponnen und wir können nichts mehr dagegen tun. Warum weiter darüber nachdenken? Wenn die Götter mich auf Reisen sehen wollen, dann soll es so sein. Ich beschloss an diesem Abend nicht so viel zu trinken und lieber einen klaren Kopf zu behalten. Doch Heimir hatte andere Pläne und reichte mir das nächste Bier.

Kap. 3: Die neue Heimat
Mein Kopf schmerzte wie am Tag zuvor als Heimir mich in die Seite stieß. „Zeit aufzubrechen. Die Schiffe sind beladen und der Wind steht günstig.“ lächelte er mich an. Er gönnte mir nicht einmal die Zeit mir den Schlaf aus den Augen zu wischen, sondern zerrte mich gleich an Bord des großen Drachen. Dofri stand am Bug und schaute ungeduldig den Fluss entlang. Mir war ein Platz an einem der linken Ruder zugedacht. Wir legten ab und ruderten los, ohne einen Blick zurück zu werfen. Nach einem Tag Fahrt tauchten wir in die Weiten des Ozeans ein. Wir hissten das Segel und zogen die Ruder ein. Das Land hinter uns wurde immer kleiner und kleiner. Die Vögel die uns zu Beginn unserer Fahrt noch zu begleiten schienen waren verschwunden und um uns herum sah ich nur noch das weite Blau des unendlichen Meeres. Die meisten der Männer lehnten sich zurück und schienen die Seeluft zu genießen. Ich dachte nur daran wie weit weg das nächste Land war und was mich dort wohl erwarten würde. Der Älteste unseres Dorfes hatte immer davon geredet dass ein Kriegerherz erst einmal Blut schmecken muss bevor es beginnen kann zu schlagen. Blut geschmeckt hatte ich, aber wie ein Krieger fühlte ich mich nicht. Im inneren fühlte ich mich gespalten. Da war zum einen der junge Mann der noch nicht bereit war die alten Träume vom eigenen Land und einer Familie zu begraben und zum anderen der Mann der voller Abenteuerlust weiter hinaus in fremde Gefilde vordringen wollte. Ich beschloss nicht weiter darüber nachzudenken, sondern mehr von den Männern zu lernen mit denen ich die nächste Zeit verbringen würde.

Für mich, der ich nur das Leben auf dem Land kannte, war die Reise oft beängstigend. Nur Wasser Tag ein Tag aus. Kein Fleckchen Land in sicht. Oft kam kein Wind auf und wir mussten stundenlang rudern. Nachts kamen die Stürme die unser Schiff umherschleuderten. Drang Wasser ein, mussten wir das Schiff mit Schüsseln schnell wieder leeren bevor es zu sinken drohte. Nach dem Sturm zählten wir durch ob noch alle Mannen an Bord waren. Manchmal brannte die Sonne so stark auf uns herab dass wir uns mit Decken vor ihr verstecken mussten. Und dann das eintönige Essen. Es gab gepökeltes Fleisch, Stockfisch, Knäckebrot, getrocknetes Obst und Skyr, ein magerer Käse der nach ungewaschenen Füßen schmeckte. Hin und wieder fing jemand ein paar Fische die wir dann sofort an Bord zubereiteten und gierig verschlangen. Für einen frisch gepflückten Apfel hätte ich einen Finger geopfert. Manchmal bereute ich es Dofri all dem ausgesetzt zu haben, doch er hielt sich tapfer.

Unsere Reise führte uns über Shetland und den Färöer Inseln, wo wir für eine Woche blieben um neuen Proviant aufzunehmen und uns von den Strapazen an Bord zu erholen. Doch die Zeit an Land verging zu schnell und schon stachen wir wieder in See. Eines Morgens weckte mich ein lautes Geräusch. Vögel kreisten um den Mast des Schiffes. Ich wusste, wo Vögel sind, da ist auch Land. Da hörte ich auch schon Heimirs laute Stimme: „Island!“ Ich fuhr hoch und auch Dofri der neben mir gelegen hatte war sogleich hellwach. Welch ein Anblick. Die Wellen peitschten an meterhohe Felsen. Vögel nisteten in großen Bäumen nah am Strand und das Wasser war in Küstennähe so klar dass man bis tief auf den Grund des Meeres sehen konnte. Und dieses unglaubliche grün. Nie zuvor hatte ich solche Wiesen gesehen. All meine Träume schienen erfüllt. Das war ein Land um sich nieder zu lassen und ein neues Leben zu beginnen.

Wir näherten uns der Küste und machten das Schiff fest. Die Männer sprangen von Bord ins Wasser und rannten an Land, wo sie glücklich auf die Knie sanken um den Göttern für ihre sichere Ankunft zu danken. Nur Heimir stand noch am Buck des Schiffes. Er nahm ein großes Rufhorn hervor und einen Moment später ertönte das tiefe Brummen. Bevor ich mich noch fragen konnte was er damit bezweckte kam auch schon eine Schar Menschen über den Hügel zum Strand gelaufen. Frauen, Männer und Kinder und Alte sanken sich in die Arme. Freudiges rufen und weinen war zu vernehmen und selbst Dofri und ich, die wir nur Fremde waren, wurden willkommen geheißen als wären wir welche von ihnen. Nach der überschwänglichen Begrüßung zogen wir gemeinsam das Schiff an Land und begannen auszuladen was wir mitgebracht hatten. Heimir überprüfte in der Zwischenzeit das Schiff auf Schäden die noch vor der nächsten Reise zu beheben waren. Ein älterer Mann kam über den Hügel, begleitet von mehreren jungen Männern und Frauen die seine Sklaven zu sein schienen. Sein Gewand war aus edelstem Tuch und Seide gefertigt und mit Borte verziert. Über seinen Schultern lag ein langer Mantel aus Wolfsfellen. Um seinen Hals trug er eine Kette mit Thorshammer, Bernsteinen und Glasperlen und am rechten Arm konnte ich 5 Armreifen aus Silber zählen. An seinem Gürtel hing ein großes Schwert in einer aufwendig mit Silberdraht verzierten Scheide. Knauf und Parierstange waren mit silbernen Ornamenten verziert. Es war Gunnar wie ich später erfuhr. Das Oberhaupt der Siedlung. Als Heimir ihn sah ging er auf ihn zu, warf sich vor ihm auf die Knie und versank dann in seinen Armen. Gunnar begrüßte ihn als seinen Sohn und presste ihn fest an seine Brust. So war dieser einfache Krieger für den ich Heimir gehalten hatte, mit dem ich gezecht und gekämpft hatte und dem ich hatte nacheifern wollen wohl doch ein Adelsmann. Ich schämte mich ein wenig es nicht längst bemerkt zu haben. Dofri, der nun neben mir stand und das ganze auch etwas erstaunt beobachtet hatte, blieb jedoch unbeeindruckt. In seinem kindlichen Gemüt schien er seit Beginn unserer gemeinsamen Reise die Unterschiede zwischen Sklaven, einfachen Freien und Adligen weggewischt zu haben. Für ihn zählte nicht mehr der Stand, sondern nur noch die Taten. Heimir winkte uns heran. Ich kniete vor dem hohen Herrn nieder wie es geboten war und drückte auch Dofri auf die Knie. Gunnar klopfte uns auf die Schulter und gebot uns aufzustehen. „Seit willkommen in diesen unseren Landen, unsere neuen Freunde“, sprach er mit lauter Stimme. „Heute soll ein Festtag sein, denn mein Sohn ist zurückgekehrt.“ Mit diesen Worten erschall ein Jubeln über den ganzen Strand und alle begaben sich auf den Weg ins Dorf.

Das Dorf war von einem hohen Palisadenzaun eingefasst und bestand aus mehreren teils kleinen, teils großen Häusern. In der Mitte stand ein großes, reich verziertes Haus. Die Schildhalle wie Heimir uns erklärte. Durch das Dorf hatte man einen kleinen Fluss angelegt an dessen Rand einige Pferde standen und tranken. Einige Meter weiter hielt ein Alter Mann seine Angelrute ins Wasser und nickte uns mit einem Lächeln zu als wir vorbei schritten. Dann öffneten sich die großen Tore der Schildhalle und sogleich stieg mir der Duft von gegrilltem Fleisch in die Nase. Nach der langen Reise konnte ich es kaum erwarten meine Zähne wieder in ein Stück Fleisch vom Grill zu schlagen. Ich sah Dofri an dass es im gleich ging. In der Halle selbst standen Tische und Bänke um eine große Feuerstelle herum. Drei Ochsen drehte man über der Glut. Gegenüber der Tür war auf einer Erhebung ein großer, reich verzierter Stuhl aus dunklem Holz aufgestellt von dem aus man alles überblicken konnte. Rechts und links davon standen je ein Wachmann mit Schild und Lanze. Dies schien der Platz des Oberhauptes zu sein. Die Wände zierten kunstvolle Schnitzereien, Abbildungen der Gottheiten,  prachtvoll bemalte Schilde, sowie Lanzen die noch keine Schlacht gesehen hatten. Große mit Öl gefüllte Lampen spendeten Licht.

Gunnar hatte seinen Platz eingenommen. Heimir setzte sich zu seinen Kriegern und gebot uns neben ihm Platz zu nehmen. Fässer wurden heran gerollt und ein süßlicher Geruch stieg mir in die Nase. Das erste Fass wurde angeschlagen und sogleich wurde der Geruch stärker. Das musste Met sein. Ich hatte schon von diesem Getränk gehört, aber da es recht teuer war hatte ich noch nie das Vergnügen gehabt es zu probieren. Als man Gunnar ein großes Horn reichte war die Halle in Stille gehüllt. Er hielt es ausgestreckt in der linken Hand. Mit der anderen Hand machte er Thors Zeichen über das Horn, dankte den Göttern für die sichere Heimkehr seine Männer und kippte ein wenig des edlen Getränks vor sich auf den Boden. Erst jetzt nahm er einen tiefen Schluck und ließ dann das Horn seinen neuen Freunden, Dofri und mir, reichen. Ich war mir nicht sicher was ich nun der Sitte nach zu tun hatte, so dankte ich für die Gastfreundschaft, nahm auch einen tiefen Schluck und reichte es dann an Dofri weiter. Dieser machte sich keine großen Gedanken, stürzte einfach den Rest Met hinunter und bekundete den guten Geschmack mit einem lautstarken Rülpser der durch die Hallen schall und sicher noch bis zum Strand zu hören war. Sofort brach lautstarkes Lachen aus und selbst Gunnar konnte sich vor lachen kaum noch auf dem Stuhl halten. Einer der Wachen musste ihn stützen, schwer bemüht selbst nicht dem Lachen zu verfallen. Dofri schien das Gelächter nicht zu verstehen und lief rot an. Die Musik spielte auf und das Fest begann. Man reichte Met und Bier, Gemüse, Fleisch und Fisch. Ich, der ich jetzt schon die Wirkung dieses einen Schluckes spürte, wollte nicht daran denken wie wohl dieses Fest ausgehen würde. Doch mit einem kurzen Gedanken an das Ende des letzten Festes legte sich ein Schmunzeln auf mein Gesicht das durch das herannahende gegrillte Fleisch noch verstärkt wurde. Würde ich am nächsten Morgen ohne Erinnerung an den Abend davor in einer Ecke der Halle aufwachen, so wusste ich doch, ich bin zuhause.

Kap. 4: Neuanfang
Vom Hahnenschrei geweckt wachte ich in einem Heuhaufen bei den Stallungen auf. Hier her hatte ich mich des Nachts geflüchtet, nachdem die meisten der Männer im Suff eingeschlafen waren und laut schnarchten. In der Luft lag der Duft von frischem Brot und geräuchertem Fisch, doch mein Hunger hielt sich in Grenzen. Einige Meter weg stand ein Fischer der gerade dabei war sein Netz zu reparieren. Als er mich aus dem Heu grabbeln sah winkte er mir freudig zu. Ich glaubte mich zu erinnern letzte Nacht mit ihm auf ewige Freundschaft angestoßen zu haben, doch ganz sicher war ich mir nicht. Er sah munterer aus als ich mich fühlte.

Ich streckte mich und beschloss erst einmal den Strand aufzusuchen und ein wenig zu schwimmen. Am Strand angekommen zog ich mich aus und wusch meine Kleidung. Ich hing sie an einen Ast einer großen Esche und sprang ins Wasser. In der jetzt schon heiß brennenden Sonne würde sie schnell trocknen. Nachdem ich mich wieder wach und sauber fühlte verließ ich das Wasser, zog mich wieder an und blickte über das Meer zum Horizont. Diese unendliche Weite hatte ich hinter mir gelassen, doch wie würde es weiter gehen? Als ich so dastand, in Gedanken versunken, kam Dofri über den Hügel. Er sah schon recht munter aus, aber erinnerte sich auch kaum noch an das Fest der letzten Nacht. Wir gingen zurück zur Schildhalle.

Im trüben Licht der letzten noch brennenden Fackeln sah ich dass noch alle durcheinander lagen und schliefen. Ich sah zu Dofri rüber. Er grinste über das ganze Gesicht. Hinter seinem Rücken nahm er das große Rufhorn hervor, mit dem Heimir bei unserer Ankunft die Dorfbewohner gerufen hatte. Ich war mir nicht sicher ob es eine gute Idee sei, doch ich ließ ihn gewähren. Er nahm tief Luft und stieß mit voller Kraft in das Horn. Zu hören war ein Geräusch das eher an Darmprobleme erinnerte, als an das laute Brummen das ich am Vortag gehört hatte. Doch Dofri gab nicht auf. Er nahm wieder tief Luft und ließ sie mit rotem Kopf in das Horn entweichen. Sein Hals schwoll an, sein Kopf wurde noch roter, doch das Geräusch war das gleiche wie zuvor. Dann verdrehte er die Augen und viel hinterrücks lang hin. Von meinem eigenen Können überzeugt nahm ich das Horn, nahm tief Luft und versuchte mein Glück. Als wir dann so nebeneinander lagen beschlossen wir, doch zu warten bis die Männer von allein erwachten.

Am Nachmittag hatte Heimir eine Überraschung für uns. Wir gingen zu einem kleinen Bauernhof am Rande des am Dorf angrenzenden Waldes. Vor uns stand ein altes, kleines Haus dessen Dach von Stürmen halb abgedeckt war. Davor lag ein kleines Feld auf dem schon seit langem das Unkraut spießte und daneben eine Wiese mit meterhohem Gras. An dem halb verfallenem Zaun der die Wiese umspannte konnte man sehen dass hier wohl früher einmal Tiere gegrast hatten. „Der Bauer starb vor 2 Wintern. Kurz danach seine Frau. Wenn du es willst kannst du es haben und wir helfen dir dabei alles wieder aufzubauen“, sagte Heimir. Ich war sprachlos. Dofri zupfte mich am Ärmel: „Das ist doch mal ein guter Geburtstag.“ Ich stutzte kurz und rechnete nach. Tatsächlich. Heute war mein Geburtstag und jetzt war ich ein Mann. Ich sank auf den Boden. Immer noch sprachlos. Heimir guckte mich etwas verwirrt und etwas enttäuscht an. Nur Dofri grinste wie meistens. „Tja. So viel Glück hat ihn wohl umgehauen“, lachte er.

Vor meinem inneren Auge sah ich jetzt schon nicht mehr das alte, halb verfallene Haus, sondern einen schönen, bescheidenen Hof mit einem ertragreichen Feld und einer Wiese auf der Rinder grasten. Ich sah eine Koppel auf der Pferde um die Wette liefen und ich sah Dofri, der mit mir vor dem Haus saß und über all unser Eigen genauso glücklich war wie ich. „Den Wald dort drüben kannst du roden und Ackerland daraus machen. Die erste Saat und ein paar Tiere wirst du kaufen müssen. Ich leihe dir das Geld. Wenn du auf die nächste Fahrt mitgehst kannst du deine Schulden gleich zurückzahlen.“ Heimir sprach das aus was ich mir schon überlegt hatte. Langsam fand ich auch die Sprache wieder, doch die Überwältigung ließ mich noch stottern und so brachte ich nur ein leises „danke“ hervor. Ich umarmte Heimir freundschaftlich und er lächelte als wäre er erleichtert darüber dass ich sein Geschenk nicht als plumpe Almosen empfand. Ich legte Dofri die Hand auf die Schulter und sagte: „Jetzt haben wir es geschafft kleiner Bruder.“

Die folgenden Wochen waren sehr ansträngend. Der Schmied brachte uns Werkzeuge und viele Leute aus dem Dorf fassten mit an um das Haus wieder in Stand zu setzen. Mittags kamen Frauen mit Essen und Bier vorbei das sogar noch für den Abend reichte. Heimir hatte uns angeboten bei ihm zu wohnen so lange bis unser Haus fertig sei, doch jede Nacht zogen wir uns lieber in unser bescheidenes Reich zurück. Nachdem das Haus von altem Unrad befreit und das Dach mit Reet neu gedeckt war konnte man sich schon heimisch fühlen. Vor dem Haus hoben wir einen Brunnen aus, wobei uns besonders Dofris eher drahtige Figur zugute kam. Er hockte im Loch und schaufelte den Lehm in einen Eimer den ich dann hochzog und gleich am Haus weiterverarbeitete. Ab und an hörte ich ihn unten lauthals singen und oft fragte ich mich wo er diese frivolen Lieder wohl gelernt hatte. Ein Bauer lieh uns einen Pflug und einen Ochsen um das Feld wieder herzurichten und die erste Saat auszustreuen. Wir mähten die Wiese breiteten das Gras zum trocknen aus. Viele Stunden verbrachte ich mit der Rodung im Wald. Aus dem Holz bauten wir einen kleinen Schuppen für Heu und Stroh, sowie die ersten Möbel für unser trautes Heim. Dofri zeigte ein großes Talent für das Schnitzen von Schüsseln und Tellern. Bald schon waren wir häuslich eingerichtet. Wir kauften eine Kuh, zwei Schweine und eine Hand voll Hühner. Das war ein sehr guter Anfang und das Leben als Bauer konnte beginnen.

Kap. 5: Fieber
Ein lautes Rumpeln riss mich aus dem Schlaf. Das Feuer in der Mitte des Hauses war fast niedergebrannt, doch in dem trüben Licht konnte ich sehen dass Dofri von seinem Schlafplatz auf die nackte Erde gefallen und liegen geblieben war. Ich sprang auf und lief zu ihm. Er war schweißgebadet und zitterte am ganzen Leib. Am Vormittag waren wir jagen gegangen und seine Stimmung war so ausgelassen wie immer gewesen. Kein Vergleich mit Elend das nun vor mir lag. Ich hob ihn zurück in sein Bett und wickelte ihn fest in seine Decke. Er kochte. Ich zog mich rasch an und lief ins Dorf. Wahnsinnig vor Sorge hämmerte ich an Heimirs Tür. Plötzlich sprang sie auf und Heimir stand nackt mit seinem Schwert in der Hand vor mir. „Dofri ist ganz heiss. Ich glaube er stirbt“, brach ich heraus. Er knallte die Tür zu und stand eine Sekunde später in seinen Mantel gehüllt vor mir: „Los. Ich kenne eine Heilkundige.“ Wir liefen durch das Dorf zu einem kleinen Haus um auch dort an die Tür zu hämmern. Ein alter Mann riss zornentbrannt die Tür auf. Der Ausdruck in seinem Gesicht wechselte sogleich in Sorge als wir ihm den Grund unseres Lärmens nannten. Er gebot uns voraus zu eilen, Hilfe würde gleich folgen. Wir liefen zurück zum Hof  und ich stellte fest dass Dofri noch so da lag wie ich ihn verlassen hatte. Er redete wirr und schlug um sich, reagierte aber kaum auf meine Worte. Ich zündete ein paar Lampen an als die Tür aufging und eine alte Frau in zerrissenem Mantel hereinkam.

Die Heilkundige warf einen kurzen Blick auf Dofri um dann seine Arme genauer zu untersuchen. Ich sah dass von einem kleinen Schnitt in Dofris linken Daumen eine dunkle, blaue Linie den Arm hoch kroch. „Bringt mir ein scharfes Messer und eine Schüssel. Und setzt Wasser auf das Feuer.“ krächzte die Alte mich an. Ich tat wie mir geheißen. Unter ihrem Mantel nahm sie eine kleine Schüssel und einen runden Stein hervor. In ein Stück Stoff hatte sie Kräuter gewickelt, die sie mit flinken Fingern herauspickte und mit dem Stein in der Schüssel zerrieb. „Gieß warmes Wasser darauf und flöß es ihm ein. Schnell.“ Ich beeilte mich, bemüht darum Dofri so viel dieser seltsamen, stinkenden Flüssigkeit einzuflößen wie möglich. Ohne ein Wort schob sie mich zur Seite. Unfreiwillig zog ich mich zurück. Sie richtete Dofri auf und stützte seinen Rücken mit einer Decke. Sie wickelte ihm einen Lederriemen um den kranken Arm unter der Schulter und prüfte mit der Daumenspitze die Schärfe meines Messers. Bevor ich begriff was sie vor hatte schnitt sie mit der Messerspitze in Dofris Arm. Das Blut lief langsam aus der Wunde in die zweite Schüssel. Ich sprang auf, doch Heimir hielt mich zurück. “Sie weiß was sie tut“, besänftigte er mich. Die alte lockerte den Lederriemen und das Blut lief schneller aus der Wunde. Kurze Zeit später zog sie den Riemen wieder fest und das Blut hörte auf zu fließen. Sie legte eine Hand voll Kräuter auf die Wunde und verband sie mit einem Tuch. Dann entfernte sie den Lederriemen und sah mich direkt an.

Erst jetzt viel mir auf dass sie nur noch ein Auge hatte. Dieses jedoch sah mich so durchdringend an dass mir angst und bange wurde. „Tränke ein paar Stofffetzen in kaltes Wasser und wickle sie ihm um die Waden.“ Sagte sie. Ich lief zum Brunnen, zog einen Eimer Wasser hoch, doch ich hatte keine Stofffetzen mehr. Ich riss 2 Streifen von meiner Tunika, tauchte sie ins Wasser und eilte wieder ins Haus. Die alte saß am Tisch, die Schüssel mit dem Blut vor sich stehend. Ich beachtete sie nicht weiter sondern legte Dofri wieder gerade in sein Bett und umwickelte seine Waden mit dem feuchten Stoff. Als ich mich umdrehte rührte die Alte mit einem Stock in der Schüssel mit dem Blut meines Freundes und zischte Worte die ich nicht verstehen konnte. „Es ist noch nicht vorbei“, sprach sie. „Aber wir können hoffen. Und du solltest die Götter um Hilfe anflehen.“ Dabei lachte sie leise. Ich dankte ihr, achtete aber darauf ihr nicht ins Gesicht zu sehen. Zu beängstigend war der Anblick. Heimir legte mir die Hand auf die Schulter, nickte mir zu und ging mit der Heilkundigen hinaus. Ich sah nach Dofri und bildete mir ein dass es ihm schon besser ginge. Noch einige Zeit saß ich neben seinem Bett und betete leise zu den Göttern. Dann schlief ich ein.

 

Fortsetzung folgt...